Alpendurchquerung im März – von Bassano ins Zillertal

Text und Fotos: Sebastian Barthmes

Abenteuer

Das bedeutet für mich: Aufbruch ins Unbekannte, Verlassen der Komfortzone, Risiko. Nach dieser Definition bin ich kein Abenteurer, detaillierte Planung und Vorbereitung sowie realistische Ziele sind für mich wichtig, um eben nicht meinen Wohlfühlbereich verlassen zu müssen. „Hey, wie wär’s, wenn wir nach Bassano fahren und von dort aus in drei Tagen versuchen, nach Kufstein zu kommen?“ ist also eine Frage, die mich eher skeptisch stimmt, vor allem, wenn es am Abend davor ist. Es war am Donnerstag, den 23. März 2017, als ich mit Sebastian Kummer telefonierte und wir überlegten, was wir am Freitag bis Sonntag so unternehmen könnten. Die Idee entstand daraus, dass in dem Zeitraum einige befreundete Pilotinnen in Bassano waren, die mit unserem Auto zurückfahren könnten. „Ich schau mir das mal an und rufe dich dann zurück.“ Meinte ich und startete meine Planungstools.

Zunächst mal die Wettersituation: Freitag und Samstag waren ähnlich vorhergesagt. Gute Basishöhen und Labilität von Südalpenrand bis zum Hauptkamm bei schwachem Wind aus Süd und West. Auf der Nordseite etwas stabiler und eventuell leicht föhnig, aber noch gut fliegbar. Sonntag dann etwas durchwachsener mit nördlichem Einschlag. Das sah schon mal nicht schlecht aus für so ein Vorhaben.

Die Route

Nun zum zweiten Punkt, der Route: Die Landschaft nördlich des Monte Grappa und ein Großteil der Dolomiten waren für mich unbekannt. Die Skyways im XC Planner zeigten auf der Route auch nur vereinzelte Tracks. Das wird interessant! Mit Google Earth begann ich, Talquerungen auszumessen und notwendige Abflughöhen und Einstiegspunkte zu berechnen. Außenlandemöglichkeiten durften nicht vernachlässigt werden. Letztendlich kam ich zu einem Plan, von dem ich glaubte, dass er funktionieren könnte. Ich dachte an eine Alpenüberquerung in zwei Etappen: Am Freitag ins Pustertal, am Samstag dann über den Hauptkamm und soweit wie möglich nach Norden. Der Sonntag sollte als Puffer- oder Rückreisetag dienen. Einige Schlüsselstellen gab’s natürlich schon: Schwierige Querungen mit tiefem Einstieg, recht niedrige Wolkenbasis in den südlichen Dolomiten… natürlich war der Sprung über den Hauptkamm auch mit Fragen verbunden:

Wird der Südwind nicht zu stark sein? Mit welchen Bedingungen ist im Lee zu rechnen? Reicht die Basishöhe, um die Schneeflächen zu überfliegen? Mit einer gewissen Skepsis gab ich mir trotzdem einen Ruck und rief Sebastian zurück: „Okay, lass uns das machen!“

Nach viel zu wenig Schlaf (die Gedanken rotierten immer wieder um den Plan und die Route) fuhren wir um 5 Uhr morgens von München los. Auf der Südseite empfing uns dunstig-diesiges Wetter. Trotzdem starteten wir früh und hofften auf Besserung. Doch nach einigen Stunden herumdümpeln am Grappa bei viel zu niedriger Basis wurde klar: Die Prognose stimmt hinten und vorne nicht, den Plan können wir für heute vergessen. Saharastaub war die Ursache, dieser wurde wohl nicht ausreichend vom Meteorologiemodell berücksichtigt. Müde und etwas enttäuscht fielen wir früh uns Bett.

Los geht’s

Am Samstagmorgen dann das genaue Gegenteil: Ausgeschlafen und fit empfing uns ein strahlend blauer Himmel. Bereits um 10 Uhr ploppten inneralpin überall hübsche kleine Cumuli auf. Perfekt! Die Basishöhe war zwar immer noch 200-300 m unter der Prognose, aber das hielt uns nicht auf. Tagesziel: Sand in Taufers, auf der Südseite des Hauptkamms.

Los ging es über die Ostflanken des Monte Grappa auf die Nordseite des Massivs. Der Nordausläufer war wolkenfrei und thermisch nicht sehr aktiv. Den ersten Versuch der Querung über das Tal von Feltre habe ich abgebrochen. Wieder zurück im Bart versuchte ich noch etwas mehr Höhe aus dem Bart herauszukitzeln, aber mehr so als ein paar Meter waren nicht drin. Also musste es auch so gehen. Mit leichtem Rückenwind und ohne Beschleuniger ließ ich mich hinübertragen, so dass ich zwar ein paar Sekunden später, aber 80 m höher Sebastian ankam, der beschleunigt flog. In zerrissener, talwindverblasener Thermik konnte ich mich mit dieser Extrahöhe hocharbeiten, während mein Wingman hinabsank und auf der Luvseite länger basteln musste. Leider verlor ich ihn zu diesem Zeitpunkt aus den Augen, worauf ich wie zuvor abgesprochen beschloss, alleine weiterzufliegen.

Die Wollen über dem Kamm, der Feltre von den Dolomiten abgrenzt, lagen auf Gipfelhöhe auf. Das Problem: Wo Thermik war, waren auch Wolken, und wo Wolken waren, konnte ich nicht den Grat überfliegen. Ein Kessel war jedoch so ausgerichtet, dass ich am Rand einer Wolke weit genug hineinfliegen und die letzten in dynamischem Aufwind machen konnte, um dann durch eine Scharte auf die Nordseite zu schlüpfen. Zum Glück war der Südwind hier schwach, so dass keine schwereren Turbulenzen zu erwarten waren.

Wunderland

Auf der anderen Seite vom Grat tat sich ein wahres Wunderland vor mir auf. Verschlungene Täler, wilde Gebirgsflüsse, kleine Dörfer im Tal und überall beeindruckende Fels- und Wolkenformationen. Ich war in den Dolomiten! IN Gedanken und virtuell am PC bin ich die Route ja schon viele Male durchgegangen, der tatsächliche Eindruck hat mich dann aber doch überwältigt.

Im Delphinflug ging es an schroffen Kalkklippen an dem Ort Agordo vorbei zu den Westausläufern des Monte Civetta. Was ich nicht so ausgeprägt erwartet hatte: In einer Talengstelle bildete sich eine Düse, hinter der verschiedene Windsysteme divergierten, was bedeutete, dass ich innerhalb von Minuten fast 1.000 m hinuntergespült wurde, während ich 4 Kilometer über das Tal querte. Wegen des großen Höhenverlustes kam ich an einer schlecht angeschienen Westklippe an, statt dem günstiger ausgerichteten Plateau darüber. Noch dazu hatte ich hier 20 km/h Rückenwind, der nutzbare Thermik noch unwahrscheinlicher machte. Gab es jetzt noch eine Alternative? Eine Querung zum Prallhang der anderen Talseite schätzte ich als unsicher ein. Ich folgte meinem Gefühl und hielt den Kurs am Steilhang entlang bei. Jetzt sank die Luft wenigstens nicht mehr. Stattdessen entstand an kleinen Rippen dynamischer Aufwind, immer wieder durchsetzt von Turbulenzen. Technisch anspruchsvoll kreiste ich einen leichten Aufwind hangnah ein und ließ mich vom Wind weiter verschieben. Das Steigen wurde schließlich ruhiger, stärker und entwickelte sich letztendlich zu einem erstaunlich ruhigen 3 m-Bart, der mich von einer Nordweste (!) wieder an die Basis brachte.

Ab hier war die Route gut mit Wolken markiert, außerdem nam jetzt der Südwind in der Höhe deutlich zu. Schon kurze Zeit später und mit guter Höhe erreichte ich die Südflanken des Heiligkreuzkofels. Hier kannte ich mich wieder aus. Über dem Massiv wechselte dann die zunächst noch gute Thermik in einen leeigen Waschmaschinenmodus. Starkes Steigen, starkes Sinken, dazwischen große Turbulenzen. Hier musste ich jedoch nicht viel anderes tun als den Schirm offen zu halten und geradeaus zu fliegen, denn der straffe Wind schob mich konstant zu meinem Etappenziel, Bruneck.

Guter Überblick

Inzwischen war ich auf Gipfelhöhe des Großen Löfflers und konnte die Situation gut überblicken. Höchst konzentriert querte ich jetzt über den Gipfel und folgte dem Grat dahinter nach Norden, um die stärksten Fallwinde hinter dem Hauptkamm zu meiden. Dies war eine gute Entscheidung, trotz mäßiger Turbulenzen verlor ich zunächst nicht allzu viel Höhe. Plötzlich, beim Überflug einer Scharte, nahm das Sinken jedoch massiv zu: Kurzzeitig hatte ich so starkes Sinken, dass ich beide Täler 1.500 Meter unter mir nach Notlandemöglichkeiten absuchte. Südwestseite und damit ins Luv, jedoch ein längerer Weg ins Zillertal? Oder doch auf die Nordostseite ins Lee, aber bessere Landemöglichkeiten und ein nicht so langer Fußmarsch?

Ich entschied mich für die Leeseite und hatte Glück, denn ich konnte das turbulente Gebiet schnell durchfliegen und erreichte wohlbehalten die andere Talseite. Sanftes und laminares Steigen. Geschafft, das Zillertal ist in greifbarer Nähe! Vor dem Einflug ins Zillertal drehte ich nochmal in schwachem Steigen auf und betrachtete den mächtigen Hauptkamm hinter mir: Die Welt auf der Südseite schien auf einmal sehr weit entfernt! Einige hundert Meter unter mir hing eine dunstige Inversionsschicht, thermisch war hier nicht viel zu holen. So glitt ich noch entspannt ins Zillertal hinein und landete absolut überwältigt von den dicht gepackten Erlebnissen in diesen 6,5 Stunden – 160 km nördlich von Bassano. Auch Sebastian Kummer schaffte es einige Stunden später bis zum Hauptkamm, er landete im Ahrntal und blieb dort noch bis Sonntag. Ein tolles Erlebnis, das wir so schnell nicht vergessen werden!

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